Forschungslektoriat am EU-China Forum in der Tsinghua University

Forschungslektoriat am EU-China Forum in der Tsinghua University
publication date:2024-11-20 14:28:28

Forschungslektoriat am EU-China Forum in der Tsinghua University 2024 von Christian Wagner (Zusammenfassung des Akademischen Artikels)

 

Defizite in der Informationsinfrastruktur: Hindernisse für das gegenseitige Verständnis zwischen der EU und der Volksrepublik China in einer neuen Ära

 

Die gegenwärtige geopolitische Landschaft steht im Zeichen eines tiefgreifenden Wandels hin zu einer multipolaren Weltordnung. In diesem Kontext prägen die Europäische Union (EU) und die Volksrepublik China (VR China) mit ihren unterschiedlichen Ansätzen und Zielsetzungen das globale Machtgefüge. Während China mit Initiativen wie der „Belt and Road Initiative“ eine Vision für globale Zusammenarbeit und wirtschaftliche Vernetzung vorantreibt, verfolgt die EU zunehmend eine Politik der Risikominimierung und strategischen Distanzierung. Diese divergierenden Ansätze haben das Potenzial, Missverständnisse zu verstärken und die dringend benötigte Zusammenarbeit zu behindern. Zentrale Barrieren für ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen der EU und China liegen in Defiziten der Informationsinfrastruktur beider Seiten. Sowohl die europäische als auch die chinesische Perspektive sind durch kulturelle, ideologische und historische Unterschiede geprägt, die zu kognitiven Dissonanzen führen. Diese Differenzen äußern sich in einer Vielzahl von Bereichen: von politischem Entscheidungsprozess und gesellschaftlicher Wahrnehmung bis hin zu medialer Berichterstattung und akademischem Diskurs.

 

Insbesondere die westliche Wahrnehmung Chinas wird häufig durch pauschalisierende Urteile und fehlende Expertise geprägt. So dominieren Narrative, die China als „geschlossen“, „repressiv“ oder als „autokratisches System“ darstellen. Diese Annahmen basieren oft auf veralteten oder einseitigen Informationen, die weder die aktuelle Dynamik der chinesischen Entwicklung noch die komplexe Realität eines sozialistischen Systems mit chinesischen Charakteristika angemessen widerspiegeln. Die Medien spielen eine zentrale Rolle in der Formung von Meinungen und dem Aufbau gegenseitigen Verständnisses. In westlichen Ländern jedoch dominieren oft einseitige Darstellungen, die durch geopolitische Spannungen und ideologische Diskurse verstärkt werden. Gleichzeitig hat China trotz seiner Bemühungen durch Medien wie CGTN oder Global Times Schwierigkeiten, seine Perspektiven international zu vermitteln. Der Grund liegt nicht nur in sprachlichen und kulturellen Barrieren, sondern auch in einer unzureichenden strategischen Anpassung an westliche Diskurskulturen.

 

Defizite in der Expertenausbildung und akademischen Zusammenarbeit

Ein weiteres Hindernis ist der Mangel an fundierten Experten in beiden Regionen. In Europa fehlt es an Wissenschaftlern, die moderne chinesische Gesellschafts-, Politik- und Rechtssysteme kompetent analysieren können. Die Expertise über China wird oft auf wenige spezialisierte Institutionen oder Think-Tanks wie MERICS beschränkt, die jedoch häufig politisiert agieren. Auf der chinesischen Seite wird das Potenzial für Kooperation durch begrenzten Zugang für ausländische Forscher und fehlende internationale Publikationsstrategien gehemmt. Dieses doppelte Defizit führt dazu, dass Missverständnisse nicht nur bestehen bleiben, sondern sich weiter verfestigen.

 

Chinas Verantwortung in der neuen Ära

Die Volksrepublik China hat in den letzten Jahren durch Initiativen wie die „Belt and Road Initiative“ oder die „Global Development Initiative“ gezeigt, dass sie bereit ist, eine führende Rolle in der Gestaltung globaler Prozesse zu übernehmen. Diese Verantwortung sollte auch im Bereich der Sozialwissenschaften und Informationsverarbeitung wahrgenommen werden. Dazu gehört die Bereitstellung transparenter Informationen über gesellschaftliche und politische Prozesse sowie die aktive Förderung des internationalen Dialogs.

 

Strategien zur Verbesserung des Verständnisses

Um die bestehenden Defizite zu überwinden, schlägt die Studie mehrere Lösungsansätze vor:

1. Förderung der Medienkooperation: Chinesische und europäische Medien sollten engere Partnerschaften eingehen, um objektivere Darstellungen zu ermöglichen und ein differenzierteres Bild der jeweils anderen Seite zu vermitteln.

2. Ausbau der akademischen Zusammenarbeit: Gemeinsame Forschungszentren und Austauschprogramme könnten den interkulturellen Dialog fördern und die Ausbildung kompetenter Experten unterstützen.

3. Investition in Bildung und Training: Beide Seiten sollten Bildungseinrichtungen und Think-Tanks stärker unterstützen, die sich auf die Analyse der gegenseitigen Beziehungen spezialisieren.

4. Verbesserung des Informationsflusses: Insbesondere China sollte verstärkt auf mehrsprachige Publikationen und verständliche Kommunikationsstrategien setzen, um westliche Zielgruppen zu erreichen.

5. Stärkung der nationalen Imagebildung: China sollte proaktiv daran arbeiten, Missverständnisse durch zielgerichtetes Storytelling abzubauen und die eigene Position besser zu erklären.

 

Fazit

Die Studie zeigt, dass Informationsdefizite und Missverständnisse zwischen der EU und China eine wesentliche Barriere für die Zusammenarbeit darstellen. Eine Verbesserung der Informationsinfrastruktur, die Förderung von Expertise und eine verstärkte Medienkooperation sind entscheidende Faktoren, um diese Barrieren zu überwinden. Nur durch eine langfristige, strategische Zusammenarbeit können die Grundlagen für ein nachhaltiges gegenseitiges Verständnis geschaffen werden, das den Herausforderungen der multipolaren Weltordnung gerecht wird.

 

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